Zur Rekonstruktion des Hornower Kirchturmes

Klaus Natho (Spremberger Heimatkalender 1991)

 

Wer von Spremberg aus nach Osten fährt, erblickt irgendwann von einer kleinen Anhöhe aus linker Hand einen wuchtigen Kirchturm von ungewohnter Architektur. Das bringt manchen dazu, doch einmal in unser Dorf zu fahren. Dieser kleine Umweg, für den vielleicht nur zwei Minuten eingeplant waren, kann zu einer größeren Pause werden, nämlich dann, wenn man sich wagt, einen Einheimischen auf die Rätsel dieser Kirche hin anzusprechen. Schon bald leuchtet dem Fragenden der Stolz auf unsere Hornower St.-Martins-Kirche entgegen. Und dann wird erzählt, Historisches, Legendenhaftes, Kirchliches und viel Persönliches.

So mancher Schalk im Dorf lässt den ahnungslosen Besucher raten, wie alt der Kirchturm ist, und genießt dann die Überraschung, dass es nicht um 800, 500 oder 300 Jahre geht, sondern nur um 89 Jahre. Der Kirchturm ist im Jahre 1902 an die bis dahin turmlose kleine Dorfkirche angebaut worden; in beachtlichen Dimensionen, 36 Meter hoch, mit einer Grundfläche, die ein Drittel des Kirchenschiffes ausmacht; in noch beachtlicherer Bauzeit. Drei Monate wurden benötigt, um dieses Bauwerk vom Fundament bis zum Turmknauf zu errichten.

All die Flicken, die das Mauerwerk scheinbar in Jahrhunderten erhalten hat, sind vom Architekten fein säuberlich geplant und von gewissenhaften Handwerkern so ordentlich ausgeführt worden, dass sich die meisten Besucher täuschen lassen.

Aus dem Wissen um die kurze Bauzeit ergibt sich häufig die nächste Frage: Wie haben die das damals nur gemacht, in so kurzer Zeit ohne Technik eine solche Menge von großen Feldsteinen zu verarbeiten. Und wieder gibt es eine Überraschung. Die großen Steinflächen in 20 Meter Höhe sind nicht die Leistung besonders starker Handlangerarme, sondern die Leistung eines besonders pfiffigen Architektenhirns. Die Steine sind nicht, was sie scheinen zu sein. Es handelt sich hier nur um 5 cm starke Granitplatten, die außen auf das Mauerwerk aufgesetzt wurden. Der Turm sollte so aussehen, als würde er schon 1000 Jahre stehen.

Und nun gibt es ein Kuriosum, das uns zeigen kann, wie schnell Legenden entstehen und auch, wider historischer Erkenntnis, gern weitergegeben werden. Aus dem Mauerwerk des Turmes ragen einige fast runde Steine mit einem Durchmesser zwischen 15 und 20 cm heraus. Was hat es mit diesen auf sich? Ganz einfach, das sind steinerne Kanonenkugeln, die die Hussiten dort hineingeschossen haben. Hand auf´s Herz, wer würde so eine Geschichte nicht gern glauben?

In seinem Innern birgt der Turm ganz oben die zwei verbliebenen Glocken. Ganz unten umschließt der Turm den derzeitigen Gottesdienstraum der Kirchengemeinde. Einstmals als Kapelle geplant, dann aber zur Gedenkhalle für die Gefallenen des ersten Weltkrieges gestaltet, ist die Turmhalle heute, nach abgeschlossener Restaurierung im Jahre 1989, ein kulturgeschichtlich interessanter Raum von sakraler Würde. Doch bis der erste Choral in diesem Raum erklingen konnte, musste viel Mühe investiert werden.

Über Jahre hinweg verfiel der Turm zusehends. Der Wunsch nach Wiederherstellung war immer gegenwärtig, aber auch die Resignation hatte schon Fuß gefasst. Die Situation auf dem Bausektor war nicht ermutigend und die Gemeindesituation auch nicht. Dennoch wurde im Jahr 1986 mit der Rekonstruktion begonnen. Es gab all die üblichen technischen, materiellen, finanziellen und persönlichen Probleme, die mit jedem Bau verbunden sind. Aber es gab auch eine außerordentlich hohe Einsatzbereitschaft bei einigen Gemeindemitgliedern. Dies zog wiederum ein moralisches Problem nach sich: Ist es verantwortbar, dass sich auch nur ein Mensch seine Gesundheit für einen Bau ruiniert? Eine Frage, die bei jedem Bau gestellt werden sollte. Dennoch, allen Widrigkeiten zum Trotz, konnte der Turm, der in drei Monaten erbaut worden war, in drei Jahren rekonstruiert werden. Es gab viel Hilfe von vielen Seiten. Es gab erwartete Hilfe, die ausblieb, es gab überraschende Hilfe von unvermuteter Seite. Viele taten mit zu Gottes Ehre, viele halfen, um ein wertvolles Gebäude zu erhalten. Manche waren auch mit bei der Sache, um „denen“ zu zeigen, dass es doch geht.

Der Turm, wie er heute steht, entspricht dem Turm, der 1902 gebaut wurde, bis auf eine kleine Wesentlichkeit. Das Kreuz, das heute den Turmknauf ziert und den Turm um 1,5 Meter höher macht, wurde von uns Heutigen als Zeichen unseres Glaubens hinzugefügt.